WASSILY KANDINSKY • 1866-1944

Kandinsky wurde am 4. Dezember 1866 in Moskau geboren, verlebte seine Kindheit in der Geburtsstadt und in Odessa, begann als Neunzehnjähriger in Moskau das Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und brachte es auf diesem Gebiete so weit, daß ihm 1896 eine Professur an der Universität Dorpat angeboten wurde. Er lehnte ab, denn eben zu dieser Zeit hatte er sich dazu durchgerungen, die Malerei, die er bisher nebenher betrieb, zum künftigen Beruf zu machen. In München, damals Anziehungspunkt für viele junge Russen, ging er zunächst in die Azbé-Schule, an der er zwei Jahre blieb und die Bekanntschaft mit seinem Landsmann Alexej von Jawlensky machte. Münchener Akademie und Franz Stuck, Gründung der Phalanx (1901), eigene Unterrichtstätigkeit, zahlreiche Reisen machten die Jahre bis 1908 aus, künstlerisch eine Zeit der Unentschiedenheit. In Malerei und Holzschnitt finden sich zunächst Anklänge an den Jugendstil und die starke Farbe russischer Volkskunst, dann an den späten Impressionismus. Das oberbayrische Murnau wurde von 1908 bis 1912 zum Schaffensort während der Sommermonate, und hier vollzog sich unter Mitwirkung der auf den Reisen gesammelten Eindrücke eine Wandlung eingangs zu einer vor allem in Landschaften sich bewährenden fauvistischen, aber stark dem Expressionismus angenäherten Kunst der radikal vereinfachten Formen und der dingentbundenen Farbe, dann, 1910 mit dem ersten gegenstandslosen Bild, einem Aquarell, einsetzend, zur abstrakten Malerei. 1909 hat Kandinsky mit Jawlensky, M. v. Werefkin, Erbslöh, Kanoldt und anderen die Neue Künstlervereinigung gegründet, 1911, nachdem es in dieser Gruppe zu Streitigkeiten in künstlerischen Fragen und zum Bruch gekommen war, mit Franz Marc zusammen den Blauen Reiter, dem sich Klee, Macke und andere anschlossen. I9I2 erschien das schon 1910 konzeptierte epochemachende Buch Über das Geistige in der Kunst, Kandinskys künstlerisches Manifest, dem 1926 mit Punkt und Linie zu Fläche eine grundlegende theoretische Schrift folgen wird. In seiner Malerei verfolgte Kandinsky von nun an konsequent den 1910 betretenen Weg in die Abstraktion. Wie wenig sie ihm zunächst als eine vom Erlebten und Erlebbaren abgelöste, um ihrer selbst willen bedeutsame Kunst war, erhellt aus dem vom Künstler überlieferten, ihm selbst die Bahn öffnenden Erlebnis: Als er um jene Zeit einmal in das abendlich verdämmerte Atelier trat, da sah er nicht den mit Gegenständen angereicherten Raum, „sondern ein unbeschreiblich schönes, von einem inneren Glühen durchtränktes Bild“ aus Formen und Farben. Tags darauf ist dieses Bild verschwunden, dieses innerlich geschaute Bild – „Ich wußte jetzt genau, daß der Gegenstand meinen Bildern schadet.“ Folgerichtig verschwand das Dinghafte bis hin zum Weltkrieg, der ihn bis 1922 nach Rußland zurückführte, immer mehr und schließlich ganz aus Kandinskys Malerei, die sich in Improvisationen, Impressionen und Kompositionen, klangstarken Farbgebilden, erfüllte. 1922 kehrte der Künstler nach Deutschland zurück, wurde ans Bauhaus berufen, dem er bis 1933 zugehörte, und wich dann unter dem Druck der politischen Ereignisse nach Paris aus, wo er bis zu seinem Tod am 13. Dezember 1944 lebte. Während der letzten zwanzig Jahre wandelte sich seine Kunst, wurde eingangs ganz im Sinne von Punkt und Linie zu Fläche geometrisch-konstruktiv, in Frankreich dann barockartig schwungvoll und vielteilig, ohne die Tektonik zu verlieren, endlich sinnbildhaft mit einem Einschlag ins Monumentale.

Aus dem Buch:

Moderne Malerei: Von Renoir bis Buffet von Bodo Cichy, Juckerverlag: 1970, Seite 94

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